Netto-Null bis 2050 : Strategien und Szenarien

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Wenn in absehbarer Zeit nichts getan wird, könnte sich die Erde nach Angaben des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) bis zum Ende dieses Jahrhunderts um 6 bis 7°C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erwärmen.
Die Arbeiten des IPCC zielen darauf ab, ungefähr ab der Mitte dieses Jahrhunderts eine Klimaneutralität anzustreben, das heißt ein Gleichgewicht zwischen den Restemissionen und der Absorption von CO2 in der Atmosphäre.

Trotz des wachsenden politischen Konsenses zu diesem Thema bleibt die Kohlenstoffneutralität nach wie vor schwer zu erreichen. Patrick Criqui, ehemaliges Mitglied des Weltklimarats (IPCC) und französischer Experte für Energie und Klimawandel, erläutert uns seine Sichtweise zur Erreichung dieser Zielsetzung bis 2050.

Patrick CRIQUI, ehemaliges Mitglied des Weltklimarats (IPCC)

Netto-Null bis 2050 – ist dieser Anspruch auf internationaler Ebene realistisch?

Besonders auffallend sind die extrem unterschiedlichen Situationen in den einzelnen Ländern. Von Indien bis hin zu den USA über Europa gibt es verschiedene nationale Strategien, um die Klimaneutralität auf internationaler Ebene zu erreichen. Und das ist keine leichte Aufgabe! Alle haben ein gemeinsames Ziel, nämlich weniger als zwei Tonnen CO2-Äquivalent pro Einwohner und pro Jahr auszustoßen. Daher ist es wichtig, für jedes Land die Szenarien zu ermitteln, die zur Erreichung dieser Zielsetzung beitragen können.

Welche Szenarien werden in Betracht gezogen und welche politischen Strategien umgesetzt?

In Frankreich wurden in der Nationalen Debatte zur Energiewende 2013 vier Archetypen unter den Szenarien ausgearbeitet, die auch heute noch ihre Daseinsberechtigung haben: ein eher auf einen sparsameren Energieverbrauch ausgerichtetes Szenario, ein Szenario, das den Schwerpunkt auf Energieeffizienz legt, ein weiteres, das auf Energievielfalt setzt, und schließlich ein letztes, das auf der verstärkten Nutzung von Atomkraft beruht. Diese Archetypen finden sich auch im Bericht 1,5°C des IPCC von 2019 wieder.

In Europa gibt es mehrere mögliche Strategien auf wirtschaftlicher und politischer Ebene: Entweder behalten wir die Vielfalt der Energiestrategien bei oder wir streben eine Konvergenz in den verschiedenen Mitgliedsstaaten an. Ein konvergentes, offenes Energiesystem wäre vermutlich die ideale Lösung, zumindest aus wirtschaftlicher Sicht. Das ist aber nicht unbedingt die wahrscheinlichste Hypothese.
Eine Konvergenz der unterschiedlichen Strategien, aber mit getrennten Energiesystemen würde zu Synergieverlusten und damit auch zu Effizienzverlusten führen. In einem Szenario ohne Konvergenz der Strategien und Öffnung der Systeme hätten wir ein wahrscheinlich sehr ineffizientes Mosaik verschiedener Lösungen

Die letzte Hypothese ist vielleicht aus wirtschaftlicher Sicht nicht unbedingt die leistungsfähigste, aber aus politischer Sicht die wahrscheinlichste: Ich nenne sie das unbeabsichtigte Gleichgewichtsszenario, bei dem jeder Staat seine nationale Strategie beibehalten würde, woraus sich letztendlich aber eine relativ ausgewogene Situation auf europäischer Ebene ergeben könnte. Die jüngste Energievereinbarung zwischen Frankreich und Deutschland, die ein bisschen gegen die Gepflogenheiten verstößt, da Frankreich Gas und Deutschland Strom liefern würde, ist ein gutes Beispiel für die Hypothese der Komplementarität oder des unbeabsichtigten Gleichgewichts.

Wie könnten wir dieses Gleichgewichtsszenario beschleunigen?

Dazu müssten auf europäischer Ebene die Herausforderungen festgelegt werden, die wirklich alle Länder betreffen. Dazu gehören zum Beispiel intelligente Gebäude und Klimaneutralität von Neubauten, aber auch die Wärmedämmung von Altbauten sowie die Entwicklung von Fahrzeugen mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb sowie der Ausbau von Ladeinfrastrukturen.

Und natürlich die Förderung der Kreislaufwirtschaft in der Industrie mit der 3-R-Regel (Reduce-Reuse-Recycle – Reduzieren, Wiederverwenden, Recyceln), die ebenfalls alle Länder betrifft.
Das gleiche gilt für grünen Wasserstoff, der entweder aus erneuerbaren Energien oder sogar aus Atomstrom produziert wird. Damit stellt sich die Frage nach den Wasserstoffversorgungsnetzen und einer Importpolitik für Europa. Unsere deutschen Nachbarn ziehen den Import großer Wasserstoffmengen in Betracht, zum Beispiel aus Nordafrika.

Wir sehen also, dass eine Kombination aus gemeinsamen Herausforderungen und Projekten in Europa möglich ist. Je aktiver und leistungsfähiger wir diese unterschiedlichen Herausforderungen angehen, desto besser und schneller wird meiner Ansicht nach die Energiewende in Europa Wirklichkeit.

In welchen Bereichen kann Bouygues Energies & Services tätig werden, um die Erreichung der Klimaneutralität zu beschleunigen?

Drei Bereiche sind meiner Ansicht nach für Bouygues Energies Services von grundlegender Bedeutung: Elektro- und Wasserstofffahrzeuge, Niedrigenergiehäuser sowie Abscheidung, Speicherung und Nutzung von Kohlenstoff.

Zum Beispiel müssten 60 % aller Neufahrzeuge weltweit bis 2035 Elektroautos sein. Gleichermaßen müssten 50 % der LKW und Schwertransporte mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb verkehren.
2040 müssten 50 % der heutigen Bestandsgebäude grundlegend saniert worden sein, um ein sehr niedriges Verbrauchs- und Emissionsprofil zu erreichen.

Die Abscheidung, Speicherung und Nutzung von Kohlenstoff ist derzeit ein großes Thema der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, doch nach Angaben des IPCC und der Internationalen Energieagentur IEA handelt es sich dabei um eine unverzichtbare Lösung zur erfolgreichen Umsetzung der Dekarbonisierung unserer Industrien und Regionen.


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