
Im Dezember 2020 legte der Ausschuss für Klimawandel in einem richtungsweisenden Bericht einen Fahrplan für Klimaneutralität (Null Emissionen) im Vereinigten Königreich vor.
Lord Redesdale, CEO der Carbon Management Association und der Energy Managers Association, teilt hier seine Vision einer dekarbonisierten Welt.
Netto-Null-Ziel, was bedeutet das?
Seit seiner Veröffentlichung ist die Vorstellung von Klimaneutralität auch in das öffentliche Bewusstsein eingedrungen. ‚Null Emissionen‘ bedeutet, dass wir, um einen Nullstand zu erreichen, der Atmosphäre genauso viel Kohlenstoff entziehen müssen wie wir ihr zuführen.
Da wir noch nicht über die erforderlichen Technologien für eine massive Speicherung und Bindung von Kohlenstoff verfügen, betrachten wir zunächst einmal die Menge an Kohlenstoff, die wir nutzen, und suchen nach Möglichkeiten, sie zu reduzieren. Das Problem liegt natürlich darin, dass uns die kohlenstoffreiche Wirtschaft unbegrenzte Möglichkeiten bietet: Wir können nach Lust und Laune ans andere Ende der Welt fliegen oder uns anderen Vergnügungen hingeben.
Konkret: Wie können wir handeln, um unsere Gesellschaft zu dekarbonisieren?
Die ersten Schritte sind bereits in greifbare Nähe gerückt: Dekarbonisierung der Stromerzeugung durch erneuerbare Energiequellen wie Wind- und Sonnenenergie, die bereits deutlich auf dem Vormarsch sind. Wir können feststellen, dass der Energiemix im Netz bereits weniger kohlenstoffintensiv ist, vor allem da immer mehr Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Wir haben im Vereinigten Königreich seit den 1980er
Jahren kein einziges Kohlekraftwerk mehr gebaut. Und wir haben sehr viel Geld in erneuerbare Energien investiert. Wir haben es geschafft, 50% unserer Energieproduktion von Kohle auf Gas umzustellen, der Rest wird durch erneuerbare Energien und Atomenergie abgedeckt. Ohne eine große Anzahl an Gaskraftwerken werden wir ein deutlich instabileres Stromnetz haben.
Woher werden wir den Strom nehmen, wenn eine der großen Anlagen abgeschaltet wird? Wie können wir die Stromversorgung sichern? Auch wenn der neue Energiemix größtenteils aus erneuerbaren Energien bestehen wird, können wir auf Batterien als Teil des Energiemix nicht verzichten, um dieses Problem zu lösen.
In der Zukunft wird es wahrscheinlich in jedem Gebäude eine Batterie geben, die in Spitzenproduktionszeiten aufgeladen und dann außerhalb der Spitzenzeiten genutzt wird.

Welche Rolle spielen Daten bei der Dekarbonisierung?
Daten sind unerlässlich. Wir müssen verstehen, woher der Strom kommt und wie wir ihn reduzieren können, um die Energiemenge, die wir benötigen, drastisch zu senken. Welche
Wie viel Energie ein Bürogebäude verbraucht, hängt davon ab, wie es genutzt wird. In vielen Gebäuden werden defekte Anlagen ungeachtet des Energieverbrauchs durch andere ersetzt. In den nächsten Monaten und Jahren muss ein generelles Umdenken stattfinden: Wie können wir diese Anlagen durch eine energetische Betrachtung der Wartung klimaneutral gestalten? Wie können wir sie verwalten und warten, umrüsten und ersetzen?
Wie werden die Unternehmen Ihrer Meinung nach handeln müssen?
Wir müssen uns der Tatsache bewusst werden, dass jede Anlage Emissionskosten verursacht. Viele Unternehmen beginnen zu verstehen, für welche Emissionen sie direkt (Scope 1) und indirekt (Scope 2) verantwortlich sind. Der große Posten der Scope-3-Emissionen hingegen umfasst alle anderen indirekten Emissionen, die aus der Lieferkette des Unternehmens entstehen. Bislang haben die Unternehmen dieses Thema den Energiemaklern oder Drittmittlern überlassen.
Jetzt müssen sie aber in allen Einzelheiten aufzeichnen, welchen Strom, welches Gas und welche Kraftstoffe sie einsetzen, und den jährlichen Verbrauch für jeden einzelnen Standort aufschlüsseln.

Wie wird der Trend in Bezug auf die Mobilität aussehen?
Es wird einen massiven Ansturm auf Elektroautos und andere elektrische Verkehrsmittel geben, aber die damit verbundenen Probleme sind noch längst nicht gelöst. Ein einziges E-Auto verbraucht genauso viel Strom wie ein Haushalt. Daher wird es schwierig sein, Tausende von elektrischen Fahrzeugen mit Strom aus dem Stromnetz zu versorgen. Also muss sich die Art und Weise ändern, wie wir Elektrofahrzeuge aufladen. Darüber hinaus gibt es bislang keine elektrische Lösung für LKW – in diesem Bereich besteht vordringlicher Innovationsbedarf.

Welche Ratschläge würden Sie Bürgern geben, die etwas für unseren Planeten tun möchten?
Als Einzelpersonen müssen wir alle bewerten, wie viel Kohlenstoff wir genau verbrauchen. Wenn Sie heute ein Album per Streaming hören, dann benötigen Sie dafür mehr Energie als zum Abspielen einer herkömmlichen CD. Eine Online-Telefonkonferenz mit eingeschalteter Videofunktion ist 95 % kohlenstoffintensiver als ein Telefongespräch. Videokonferenzen sind zwar weitaus kostengünstiger als ein Platz im Zug und im Sitzungsraum, aber weltweit gesehen trotzdem nicht unerheblich. In ein paar Jahren werden ca. 25 % der globalen Emissionen auf die Datenverarbeitung zurückgehen.
Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft aus?
Der Schwerpunkt wird nicht mehr auf den finanziellen Kosten liegen, sondern auf der Anzahl der Kilogramm CO2, die verbraucht werden. Weniger Haushalte werden ein Auto besitzen. Die „grüne Marke“ wird zu einem wichtigen Verkaufsargument für das Image eines Unternehmens werden. Die Gesellschaft wird Unternehmen und Einzelpersonen missbilligen, die nicht verantwortungsvoll handeln. Vor allem aber werden sich immer mehr Menschen für kohlenstoffarme oder kohlenstofffreie Lösungen entscheiden, da diese immer zugänglicher und einfacher zu nutzen sein werden. Man muss nur beobachten wie viele Verbraucher sich dafür entscheiden, Vegetarier oder Veganer zu werden, während die Ernährungsoptionen vielfältiger und die Produktqualität besser werden.
Ist es noch Zeit zu handeln?
Es wird deutlich, dass die Auswirkungen des Klimawandels katastrophal sein werden und dass wir den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, schon seit einiger Zeit überschritten haben. Erst wenn wir dies akzeptieren und nach Wegen suchen, den Schaden zu begrenzen, werden wir wirklich einen Wandel der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Werte erleben.
Lord Redesdale ist Gründungsvorsitzender und CEO der britischen Verbände „Carbon Management Association“ und „Energy Managers Association“. Er war von 2000 bis 2008 energiepolitischer Sprecher der Liberaldemokraten im britischen Oberhaus und hat sich im Namen der liberaldemokratischen Parlamentsfraktion zu verschiedenen Themen wie Umwelt, international Entwicklung, Wissenschaft und Technologie geäußert.